Sonntag, 25. November 2012

Beleidigen, betrügen, prügeln - ein Nachtrag


Der Vortrag am 13.11.12 von Herrn Dr. Rath über die Brüchtegelder der Stadt Bielefeld im Stadtarchiv Bielefeld hat mir schon allein deshalb Spass gemacht, weil hier zwei meiner Steckenpferde, die Genealogie und die Juristerei, aufeinandertrafen.


Um eines vorwegzuschicken: Die Gerichtsprotokolle, also die Mitschriften der Verhandlungen am Stadtgericht Bielefeld, sind heute nicht mehr vorhanden - leider. Es wäre doch zum Beispiel nett gewesen zu wissen, mit welchen Beleidigungen unsere Vorfahren sich gegenseitig bedacht haben - und vor allem, warum. Dasselbe gilt natürlich auch für Prügeleien und ähnliche Vorkommnisse. Letztlich handelt es sich bei den heute noch vorhandenen Unterlagen eben nicht um Gerichtsakten, sondern um Verwaltungsbelege.

Naturgemäß können die Brüchtegelder nur solche Straftaten betreffen, die mit einer Geldbuße belegt waren und keine alternativen Bestrafungen wie den Bruchturm oder sogar die Hinrichtung vorsahen. Wir reden hier also von den leichteren Vergehen. Die Bielefelder Garnison hatte ihre eigene Gerichtsbarkeit, so dass auch die dort abgeurteilten Taten hier außer Betracht bleiben mussten.

In den im Bielefelder Stadtarchiv vorhandenen Aufzeichnungen kann man die folgenden Angaben finden:

Für die Zeit von 1719 bis 1742:
  • Täter,
  • Geschädigte,
  • das Delikt,
  • die Strafhöhe und 
  • das Datum der Brüchtenzahlung.
Für die Zeit von 1743 bis 1806:
  • Täter, 
  • Strafhöhe, 
  • das Datum der Brüchtenzahlung und
  • die Geschädigten (aber nur in den Jahren 1802/1803). 
  • Die Delikte werden in diesen Jahren nur teilweise genannt.  

Für den Familienforscher bedeutet das, dass man im Grunde schon seinen Stammbaum fertig haben muss, um einen echten Nutzen aus den Brüchterechnungen zu ziehen, denn wenn zum Beispiel die "Möllersche" ihre "Schwiegermutter" beleidigte, dann kann man mit dieser Angabe nur dann etwas anfangen, wenn man weiß, welche Frau Möller denn hier nun die Übeltäterin war. 

Trotzdem kann man aus den vorliegenden Unterlagen noch wunderbar Rückschlüsse auf das Leben in Bielefeld im 18. Jahrhundert ziehen:

Insgesamt wurden 604 Personen mit einer Geldstrafe belegt, darunter 522 Männer (= 86,42 %), 76 Frauen (=12,58 %) und immerhin auch 6 Kinder (= 1%).

Auffällig bei den Frauen ist insoweit, dass nur eine einzige wegen eines speziellen Gewaltdelikts verurteilt worden ist, dass sie auch noch zusammen mit einem Mann begangen hatte. Die übrigen "weiblichen" Delikte teilten sich ziemlich genau zur Hälfte in Ehrverletzungen und Sittlichkeitsvergehen (Ehebruch, Unzucht uneheliche Schwangerschaft, frühzeitiger Beischlaf) auf. Sittlichkeitsvergehen wurden im Schnitt höher bestraft.

Bei der Strafzumessung spielten vier Kriterien eine Rolle:
  • der Stand des Delinquenten, 
  • der Stand des Geschädigten, 
  • die Form der Beleidigung und 
  • das Forum der Beleidigung. 
Grund dafür war das damals herrschende gesellschaftliche System aus Achtung und Akzeptanz sowie Über- und Unterordnung. Wenn man also jemanden, der vom gesellschaftlichen Stand her ein paar Stufen über einem selbst verankert war, mitten auf dem Alten Markt zur Hauptgeschäftszeit als Hundsfott, Sodomit oder Schelm(!) betitelte, dann wurde es teuer...

Insgesamt machten Ehrverletzungen, Betrugsdelikte und Körperverletzungen schon mehr als 70 % der Vergehen aus. Eigentumsdelikte führten selten zu Geldstrafen: Von den 36 Verurteilungen betrafen allein 30 Holzdiebstähle am Brackweder Berg. 

Der Zusammenfassung von Herrn Dr. Rath kann man sich daher wohl nur anschließen:

"Der Bielefelder des 18. Jahrhunderts beleidigt, betrügt und prügelt. 
Er klaut aber eher selten - und wenn, dann Holz für den Eigenbedarf."


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